Die angestoßenen digitalen Veränderungen in der Fitnessbranche, welche durch die Corona-Krise nochmals verstärkt wurden, machen eine Neuausrichtung der eigenen Geschäftsidee notwendig. Hierzu gehört nicht zuletzt die Preisgestaltung, wenn man digitale Angebote in das eigene (analoge) Portfolio übernimmt. Das im Softwarebereich stark verbreitete “Freemium”-Modell kann hier auch für die Fitnessbranche ein interessantes Konzept sein. 

Was bedeutet Freemium?

Der Begriff “Freemium” ist ein Kunstwort, das sich aus den englischen Worten “free” und “premium” zusammensetzt. Hierbei handelt es sich um eine Pricing-Strategie, bei der ein Basisprodukt kostenfrei zur Nutzung angeboten wird. Eine solche Produktvariante beschränkt sich meist auf die wesentlichen Funktionen und bietet Nutzern einen ersten nennenswerten Mehrwert, anhand dessen sie das Produkt in seinen Ansätzen kennenlernen und sich einen Eindruck verschaffen können. Das Ziel dieser Strategie liegt darin, gewonnene Nutzer in ausreichendem Maße vom Mehrwert des Produkts zu überzeugen, um darauf aufbauend kostenpflichtige Vollversionen oder wertstiftende Erweiterungen zu verkaufen bzw. Abonnements abzuschließen. Insofern kann das Freemium-Konzept sogar als Geschäftsmodell fungieren, wie die Beispiele in den folgenden Ausführungen zeigen werden.

Welche Vorteile bieten sich Anbietern durch eine Freemium-Strategie?

Zunächst aber erst einige Anmerkungen zu den Chancen und Risiken der Freemium-Strategie. Durch die kostenlose Nutzung des Basisprodukts stellen sich potentiellen Kunden meist nur sehr geringe Einstiegshürden. In der Regel müssen persönliche Daten wie der Name, das Geschlecht und das Alter angegeben werden, die dann zum Beispiel dem Unternehmen zur Zielgruppenanalyse dienen. Oft werden auch die Kontaktdaten für spätere Upsell-Strategien abgefragt. Weil für den Kunden allerdings kein finanzielles Risiko mit dem Erwerb des Produkts vorhanden ist, ergeben sich für Produkte außerhalb von absoluten Nischen hohe Potenziale in der Neukundenakquise. Ein wichtiges Stichwort ist hier das Empfehlungsmarketing, denn kostenlos nutzbare Produkte werden von Interessenten gern auch an Freunde und Familie weiterempfohlen, wenn sie einen ausreichenden Mehrwert bieten, sodass sich die Nutzerbasis durch Empfehlungen multiplizieren kann. 

Es gilt, die gewonnenen Interessenten durch eine gute Produkt- und Servicequalität zu überzeugen und somit Vertrauen aufzubauen. Die somit entstehende Kundenbeziehung soll dann dazu genutzt werden, Nutzer langfristig zu binden bzw. zu zahlenden Nutzern der Vollversionen zu konvertieren. Ein weiterer wesentlicher Treiber ist der Anreiz durch wertstiftende Funktionserweiterungen. Während die kostenfreie Basisversion des Produkts bereits einige grundlegende Features bietet, werden die attraktivsten Premium-Funktionalitäten meist erst über bezahlte Vollversionen oder Abonnements freigeschaltet und stellen somit ebenfalls einen Konvertierungsanreiz für Kunden dar. 

Das Freemium-Modell beinhaltet allerdings, wie jede andere Strategie auch, ebenso potentielle Risiken, die es zu beachten und nach Möglichkeit zu neutralisieren gilt. Ein (Gratis-)Produkt anzubieten und zu vermarkten kostet immer Geld, selbst wenn es nur die Arbeitsstunden und somit die Löhne der verwaltenden Mitarbeiter sind. Diese Kosten werden im Normalfall durch gewonnene Interessenten und dem daraus resultierenden Umsatz nicht nur kompensiert, sondern es soll ein Gewinn erwirtschaftet werden. Wenn sich aber zahlreiche Nutzer ohne echtes Kaufinteresse anmelden, um lediglich die kostenlosen Services auszunutzen, dann sinkt im Umkehrschluss auch die Aussicht auf eine hohe Konvertierungsrate. Hier sollten Anbieter schon früh Methoden, wie etwa persönliche Gespräche oder Umfragen, zur Kategorisierung von Nutzern implementieren, um ihren Upsell-Fokus darauf aufbauend verstärkt auf solche Kunden mit vergleichsweise höherem Konvertierungspotenzial zu legen. 

Damit ein Gratisangebot finanziert werden kann, gibt es bei Softwareprodukten die weit verbreitete Option, externe Werbung einzuspielen, bei denen die werbetreibenden Unternehmen einen Betrag zahlen, um beispielsweise Banner zu platzieren. Wird auf diese Variante verzichtet, so steigt der Verkaufsdruck, denn dann finanzieren kostenpflichtige Produkte das Gratisangebot mit. Hierzu empfehlen sich gezielte Strategien zur Preisgestaltung, auf die im Rahmen dieses einführenden Artikels jedoch nicht näher eingegangen werden soll.

Anwendungsbeispiele aus anderen Branchen

Wie so oft lohnt sich ein Blick in andere Branchen, um ein Gefühl für die Möglichkeiten dieses Konzepts zu erhalten. Ein gutes Beispiel zeigt sich bei Zeitungsverlagen. Manche Verlage teilen ihre Artikel auf, sodass jeder Nutzer einen Textteil kostenfrei einsehen, während andere hinter einer Bezahlschranke (z.B. für eine Mitgliedschaft) “versteckt” sind. Der Leser wird über die kostenfreien Inhalte “angeteasert” und erkennt den Wert einer Mitgliedschaft, um Zugriff auf alle Inhalte zu erhalten. Auch soziale Plattformen (insbesondere im Business-Bereich) verfolgen eine ähnliche Strategie, indem bestimmte Funktionen hinter einer Bezahlschranke verborgen bleiben (z.B. das Versenden von Nachrichten an Nicht-Kontakte oder die Ansicht von Profilbesuchern). Gemeinsam haben diese somit, dass eine Basis umsonst ist und weitergehende Dinge bezahlt werden müssen. 

Nicht alle Zeitungsverlage verfolgen allerdings die obige Strategie. Manche Anbieter lassen den Leser täglich nur eine bestimmte Anzahl an beliebigen Artikel konsumieren, bevor der weitere Konsum durch eine Zahlungsschranke unterbunden wird. Auch hier können wieder über Mitgliedschaften oder auch Pay-per-View (Bezahlung für die Freigabe eines bestimmten Artikels) Umsätze generiert werden. Ähnlich ist das Vorgehen von Mailing- und Cloud-Diensten. Ein Postfach oder ein Speicher haben ein bestimmtes maximales Datenvolumen für die kostenfreie Nutzung zur Verfügung. Wer darüber hinausgeht, muss für die zusätzliche Menge bezahlen. Diesen Angeboten ist somit die Verknappung der Menge gemeinsam. 

Einen anderen Weg gehen beispielsweise manche Streaming-Anbieter. Der Nutzer kann zwar sämtliche Inhalte (z.B. Musik) konsumieren, muss sich aber immer wieder mit Werbung konfrontieren lassen. Mailing-Dienste nutzen dieses Konzept auch gerne in der Kombination mit der obigen Mengenbegrenzung. In beiden Fällen lässt sich das “Problem” der Werbung wieder durch eine Gebühr beheben. 

Mögliche Freemium-Optionen in der Fitnessbranche

Wie könnte Freemium nun ganz praktisch in einem Fitnessstudio aussehen? Eine erste und einfachste Option ergibt sich aus der Kombination mit kostenpflichtigen Online-Angeboten, dem hybriden Modell (vgl. Bechler, Rauch 2021). Nicht-Mitgliedern kann die Möglichkeit angeboten werden, an einzelnen Kursen (ausgewählte oder eine bestimmte Anzahl an Kursen pro Woche / Monat) digital teilzunehmen. Dies kann über die bekannten sozialen Kanäle erfolgen, wie es bereits zahlreiche Anbieter praktizieren. Vorteil der sozialen Kanäle ist, dass die Kunden in der Regel einen entsprechenden Account dort bereits haben und somit schnell & einfach teilnehmen können. Allerdings können Sie die Kunden nicht selbst wählen lassen, welchen Kurs sie gerne testen möchten.

Diese Option können Sie aber über einen internen Bereich auf der eigenen Homepage möglich machen. Die Kunden wählen (in der Menge beschränkt) beliebige Kurse aus, an denen sie teilnehmen möchten. Der Vorteil dieses eigenen internes Bereichs ist, dass Sie jetzt den direkten Draht zu den Kunden haben und somit diese im Nachgang deutlich einfacher ansprechen können. Allerdings schaffen Sie durch die notwendige Anmeldung eine Hürde, welche sicherlich den einen oder anderen Nutzer abschrecken könnte. 

Es muss aber nicht immer Online sein. Gerade in den warmen Monaten des Jahres kann Outdoor-Training auch eine Option sein. Das Schöne am Training im Freien ist, dass dieses in der Fläche und damit auch in der Personenzahl theoretisch fast unbegrenzt ist. Es ist somit möglich, externen Personen ohne Mitgliedschaft eine Teilnahme zu ermöglichen. Eine vorherige Anmeldung selbstverständlich vorausgesetzt, sodass auch hier wieder die Anzahl an Einheiten pro Woche/ Monat durch die externe Person beschränkt werden kann. Natürlich können Sie ebenso die maximale Teilnehmerzahl durch externe Personen beschränken. Der Vorteil ist auch hier wieder der direkte Kontakt zu den Nicht-Mitgliedern, aber auch ganz besonders die Einbindung in ein bestehendes Kurskonzept und damit in die soziale Struktur des Studios, welche einen wichtigen Ausschlag zum Abschluss einer vollständigen Mitgliedschaft geben kann. 

Theoretisch kann das Freemium-Modell auch für Trainingseinheiten im Studio eine Option sein. Demnach steht man vor den Optionen, dass man entweder eine bestimmte Anzahl an kostenfreien Einheiten im Studio pro Monat pro Person gewährt und versucht eine vollwertige Mitgliedschaft zu verkaufen oder das Training sogar vollständig umsonst ist und man über Zusatzleistungen wie Personal Training, Kurse etc. den Umsatz generiert. Beide Optionen dürften aber für ein normales Fitnessstudio nicht praktikabel sein, weswegen von einer weitergehenden Diskussion hier abgesehen wird. 

Fazit

Es hat sich gezeigt, Freemium kann auch für die Fitnessbranche ein interessantes Geschäftsmodell zur Umsetzung in Fitnessstudios sein. Natürlich ist keine 1:1-Übertragung aus anderen Branchen möglich, schließlich müssen auch die Besonderheiten unserer Branche beachtet werden. Geht man bei der Umsetzung aber mit der notwendigen Sorgfalt vor, kann man, gerade in der Kombination mit digitalen Geschäftsmodellen essenzielle Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erlangen. 

Vielen Dank an Stefan Rauch, der mich als Co-Autor bei diesem Artikel unterstützt hat.

Du findest diesen Artikel auch in der TT-Digi Ausgabe 3-21.

Literaturverzeichnis

Bechler, Andreas / Rauch, Stefan (2021): “Das hybride Studiomodell – Die Zukunft der Fitnessbranche?”, in TT-Digi Ausgabe 1-21, Verlag für Prävention & Gesundheit GmbH

Emran, Niko (2020): “Das Freemium-Modell: ‘Kostenlos’ zum Geschäftserfolg?”, online abrufbar unter: https://www.einstein1.net/freemium/ (Stand: 02.01.2021)